Die Renaissance der PV-Produktion in Europa war eines der vorherrschenden Themen auf dem 38. PV-Symposium , das vom 27. Februar bis 2. März in Bad Staffelstein/ Deutschland die PV-Branche der DACH-Region vereinte. Um nachhaltig Energiesouveränität auf dem alten Kontinent zu erreichen, erscheint es dringlicher denn je, die richtigen Anreize zu setzen, Strategien zu verfolgen und Projekte schnell voranzutreiben.
Wie kann es gelingen? Welche Wettbewerbsvorteile, welche Hindernisse gibt es? Wie steht Europa im globalen Wettlauf um Produktionskapazitäten da?
In unserer zweiteiligen Experteninterviewreihe sprachen wir darüber auf dem PV-Symposium mit Dr. Marcus Rennhofer, Senior Scientist am Austrian Institute of Technology (AIT) und Prof. Dr. Andreas Bett, Institutsleiter des Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme ISE und Professor an der Universität Freiburg.
Im ersten Teil geht es um Investitionshindernisse, den Wettbewerb zu Produktionsländern wie USA und Indien, Hochskalierung und den integrativen Aufbau einer europäischen PV-Wertschöpfungskette.
In Europa übersteigt die Nachfrage an Photovoltaik (PV) derzeit um ein Vielfaches die auf dem Markt verfügbaren Produkte. Gleichzeitig ist man sich seit geraumer Zeit einig, dass die europäische PV-Produktion wiederaufgebaut werden muss. Warum geht das Errichten neuer Produktionskapazitäten hier trotzdem so schwerfällig voran?
Rennhofer: In Österreich gab es immer wieder Ansätze, um Produktionskapazitäten aufzubauen. Ein großer Knackpunkt der letzten Jahre war die mangelnde Investitionsbereitschaft der Summen, die notwendig sind, um moderne, vollautomatische Produktionsanlagen in einem Maßstab aufzubauen, der es erlaubt finanziell wettbewerbsfähig in Europa zu produzieren.
Der andere Punkt: Man hat zwar die Notwendigkeit des Ausbaus von PV gesehen, zum Teil aber nicht mit politischen Entscheidungen ausreichend flankiert, so dass die absolute Notwendigkeit, diesen Ausbau auch durch Aufbau der PV-Produktion durchzuführen, nicht ausreichend gesehen wurde. Es herrschte lange die Meinung, dass man die Technologien, die ja woanders in der Produktion sehr gut entwickelt sind, am preiswertesten importieren kann, um trotzdem die Energiewende zu schaffen. Das war die Ansicht vor der Krise, bevor man diese Lieferkettenschwierigkeiten und die technologischen Abhängigkeiten voll erkannt hat.
Bett: Wenn man gesamt Europa betrachtet und übrigens im Wesentlichen auch den Rest der Welt hatten wir in der Historie der Photovoltaik eigentlich immer nur eine Diskussion: PV ist zu teuer! Das Mantra der Vorgängerregierungen in Deutschland war: „Es ist uns egal, wo die PV-Module herkommen. Hauptsache, der PV-Strom ist billig, und wenn PV-Module in China produziert werden, ist es doch billiger.“ Das hat teilweise am Anfang der industriellen Entwicklung sogar gestimmt, weil viele Schritte in der Produktion manuell ausgeführt wurden.
Durch technologische Fortschritte, Automatisierung der Prozessschritte und die Skaleneffekte der Massenproduktion wurden die PV-Module billiger und damit ist der PV-Strom mittlerweile eine der billigsten Stromquellen. Da die heutige industrielle Produktion fast vollständig automatisiert ist, spielen Lohnkosten fast keine große Rolle mehr, wenn man sich heute die Kostenstruktur von PV-Modulen betrachtet. Daher fällt ein Kostenvorteil für China weg. Allerdings hat China über den jahrelang strategischen Aufbau der PV-Produktion mittlerweile einfach dadurch einen Kostenvorteil, weil sie große Produktionsvolumina umsetzen. Zudem haben sie inzwischen ein Ökosystem an Zulieferern, welches die PV-Produktion unterstützt.
Aus diesen Gründen haben wir aktuell in Europa heute einen Kostennachteil. Wenn man mit kleinen Produktionsmengen anfängt, sind wir erst einmal teurer. Daher brauchen wir staatliche Unterstützung, und zwar entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Häufig war nur von der Solarzellenproduktion die Rede. Auf dem PV-Symposium haben wir aber gerade wieder gehört, dass wir im Wafer-Bereich weltweit praktisch komplett abhängig sind von China.
In der Vergangenheit war zudem der Fokus vor allem auf die Finanzen ausgerichtet. Für mich gehören zum erweiterten Betrachtungsrahmen aber auch Nachhaltigkeitsfragen. Wie viel CO2 wird bei der Produktion tatsächlich ausgestoßen? Wo kommt das Material her? Wie wird es beschafft? Das sind alles Fragen, die sich erst einmal nicht im Preis niederschlagen.
Wie schnell kann oder muss es mit der PV-Produktion in Europa jetzt gehen, ohne dass uns Länder wie die USA oder Indien, wo es nun mit Förderprogrammen für PV und Erneuerbare Energien recht schnell ging, den Rang ablaufen? Wie schaffen wir es noch, aufzuholen?
Rennhofer: In der Produktionskapazität haben sie uns schon den Rang abgelaufen. Ich glaube aber tatsächlich, dass mehr nötig ist, als zum Beispiel in den USA primär eine Anhebung der Installationskapazität durch staatliche Unterstützung, durch Marktförderung und durch Einspeisevergütungen. Man muss auf Maßnahmen entlang von vielen verschiedenen Sektoren setzen. Man muss Produktionskapazitäten aufbauen, man muss Personal ausbilden, man muss das intereuropäisch noch vernetzen, damit man nicht Dinge auslässt oder doppelt aber nicht vernetzt aufbaut. Das heißt, man braucht da viel mehr koordinierte Tätigkeiten und viel mehr Investitionsvolumen, als die reinen Marktanreize jetzt ausmachen.
Bett: Auch in den USA ging nicht alles ganz schnell, den Entwurf des Inflation Reduction Act (IRA) gab es schon zwei Jahre, bevor er im August 2022 verabschiedet wurde. Nur hatte das hier keiner realisiert. Als er dann kam, ist die EU aufgeschreckt und hat gesagt: „Jetzt müssen wir schnell reagieren.“
In Indien sind der Production Linked Incentive (PLI) und die Zölle, die es dort gibt, seit drei bis vier Jahren aktiv. Dort sieht man auch, dass es eine gewisse Zeit braucht, bis solche Maßnahmen Wirkung zeigen. Das wird auch in den USA so sein. Das heißt, wir haben eine Chance aufzuholen. Aber es ist auch richtig, dass wir jetzt schnell reagieren müssen. Ich glaube, dass der Inflation Reduction Act in den USA jetzt als Beschleuniger für politische Maßnahmen in der EU wirken kann.
Wie können wir in Europa Maßstäbe bei den Produktionskapazitäten erreichen, die uns mit internationalen Produktionsstätten konkurrenzfähig machen? Auf dem PV-Symposium 2023 hat sich beispielsweise die Firma Meyer Burger, die in Deutschland produziert, mit dieser Thematik präsentiert.
Bett: Letztendlich brauchen wir jetzt wirklich einen schnellen Start, inklusive Anschubfinanzierungen, um eine gewisse Kapazität zu erreichen. Meyer Burger ist ein leuchtendes Beispiel, die mit der lokalen Wertschöpfung begonnen haben. Aber man kann bei diesen Produktionsmengen nicht stehenbleiben. Wenn man auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig sein will, dann müssen einzelne Firmen gefördert auf zehn bis zwanzig Gigawatt (GW) Produktionskapazität kommen und sich untereinander stärker integrieren.
Es gibt viele kleine Beispiele für Zell- und Modulhersteller in Deutschland, die durch die Einzelkomponentenzölle gegenüber Vollimporten von PV-Modulen benachteiligt sind. Solche Regularien müssen angepasst werden, damit Nachteile für die produzierenden Industrien behoben werden.
Rennhofer: Die Produktionskapazitäten können dann gewährleistet werden, wenn man entlang der ganzen Wertschöpfungskette das Umfeld für diese Produktionskapazitäten schafft. Also dass man sowohl die Aufbereitung und Heranschaffung der Rohstoffe gewährleistet, aber auch periphere Komponenten wie Aluminium, Glas oder Rückseitenfolien, also Teilkomponenten, in Europa produziert sowie Fachpersonal schult.
Denn wenn sich innereuropäisch Wettbewerb bildet — und wir haben einen sehr großen Markt, unser Markt sogar ein bisschen größer als der der USA — dann können wir die Produktionskapazitäten auch in Europa auf der Modulebene wettbewerbsfähig abbilden.
Und wie kann es gelingen, wieder die gesamte Wertschöpfungskette anzusiedeln? Sie haben gerade Aluminium und Glas erwähnt, wo man eigentlich eher skeptisch ist, das überhaupt wieder in Europa zu produzieren.
Rennhofer: Ich glaube, dass viel über Bewusstseinsbildung geht, auch bei Entscheidungsträgern. Man muss das Bewusstsein dafür stärken, dass man die gesamte Wertschöpfungskette braucht, um wirtschaftliche, volkswirtschaftliche, ökonomische, aber auch ökologische Abhängigkeiten zu reduzieren. Man wird auch den Green Deal und die Klimaziele nicht erreichen, wenn man CO2-intensive Importgüter installiert, anstatt europäisch mit niederem CO2-Fußabdruck nachhaltig, regional zu produzieren, um so auch Arbeitsplätze wertschöpfend und lokal zu schaffen.
Die Ausbaumengen, die die Photovoltaik jetzt braucht, erlauben es, dass man auch mit dem Argument der Arbeitsplätze nachhaltig einer Volkswirtschaft etwas anbieten kann. Das genug Arbeitsplätze entstehen, um wirklich belastbar zu sein und sichtbar, um so Wertschöpfung zu schaffen.
Bett: Wenn sie mich fragen, wie es gelingen kann, dann ist meine Antwort: Wir müssen jetzt schnell mit der Produktion beginnen. Meyer Burger ist ein Beispiel, das zeigt, dass auch ein einzelnes Unternehmen einen sehr positiven Einfluss haben kann.
Wir haben große Aufgaben entlang der gesamten Wertschöpfungskette, aber grundsätzlich haben wir auch das Know-how und die Möglichkeiten in Europa. Was fehlte, war politische Unterstützung, die wir jetzt vom Grundsatz her spüren und die jetzt in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden muss. Wir brauchen Finanzunterstützungen bei Investitionen sowie Unterstützung bei den Betriebskosten, vor allem bei den Stromkosten. Ich bin überzeugt, dass wir auch in der Forschung noch viel in petto haben, das wir in die Industrie transferieren können und damit die Wettbewerbsfähigkeit unterstützen.
Rennhofer: Um die Wertschöpfungskette anzusiedeln, benötigen wir umgesetzte Innovation, und das heißt, wir benötigen einen vollständigen Innovationszyklus entlang der gesamten Wertschöpfungskette, wieder installiert in Europa. Das geht nur mit staatlicher Unterstützung, nur die Industrie allein kann nicht den Innovationszyklus aufrechterhalten. Dann fehlen nach ein paar Jahren die Innovationen und man ist nicht wettbewerbsfähig. Nur ein Innovationszyklus erlaubt es, Forschung auf verschiedenen Levels, Grundlagenforschung, angewendete Forschung und industrielle Entwicklungsforschung, in die industrielle Produktion zu transferieren.
Das Interview führte Sarah Hommel de Mendonça.