Sie würde so gerne mit ihm kommunizieren, doch er versteht sie einfach nicht! Millionen dezentraler Photovoltaik-Anlagen, Batteriespeicher, Ladesäulen oder Wärmepumpen müssen in Zukunft miteinander interagieren können, um Schwankungen bei Stromangebot und -nachfrage auszugleichen. Doch noch fehlen einheitliche Standards, die die nötige Kommunikation zwischen Geräten unterschiedlicher Hersteller möglich machen.
Auch die Bedienerfreundlichkeit für Prosumer ist noch verbesserungswürdig. Wir sprechen mit IoT-Experte Marco Oesterlein über Probleme und Lösungen rund um die Digitalisierung.
Auf einer Skala von eins bis zehn, wo stehen wir da Ihrer Meinung nach bei der Digitalisierung und der Energiewende?
Ich würde eine sechs bis maximal sieben vergeben. Wir befinden uns sozusagen im Beginn des oberen Drittels.
Wie kommen wir auf die zehn? Wo sind die größten Baustellen?
Eine große Baustelle sehe ich schon seit vielen Jahren in der Standardisierung, in den skalierbaren Lösungen. Das heißt, es gibt im Zusammenspiel etwa der Gewerke Photovoltaikanlage und Ladesäule keine Standards oder nur Quasi-Standards und stattdessen sehr viele proprietäre Lösungen. Einzelne Unternehmen entwickeln gemeinsame Individuallösungen, aber einheitliche standardisierte Protokolle gibt es noch nicht. Ein großer Wechselrichterhersteller erzählte mir, dass absichtlich keine Standards eingesetzt werden, um die eigenen Lösungen zu favorisieren und keine anderen Kombinationen zuzulassen.
Eine weitere große Baustelle haben wir auf der Netzanschlussseite. Hier haben wir zu viel Bürokratie. Bei Energieversorgungsunternehmen und Stadtwerken geht es sehr stark um Vorgaben, Normen und Regularien. Das hält das Wachstum der Erneuerbaren auf. In Deutschland beispielsweise wird der Smart Meter Gateway Rollout noch bis 2030 dauern und auch die Novellierung des Energiewirtschaftsgesetzes hält uns hier und da noch auf.
Was ist Ihre Vision, wenn wir uns die Kombination aus PV-Anlage, Speicher, Ladesäule und Wärmepumpe verbunden mit einem Home Energy Managementsystem anschauen?
Die Vision dahinter wäre eine Standardisierung, eine Konsolidierung im Markt, um Anlagen in größerer Stückzahl auf den Markt zu bringen. Das geht dann noch einen Schritt weiter. Solarteure müssen dafür sorgen, dass die Anlagen auf das Dach kommen, dass sie zusammenspielen, dass das Elektroauto durch Solarenergie geladen wird. Das muss standardisiert werden, es muss schneller gehen und es muss agiler und skalierbarer sein.
Wie kann das gelingen?
Jeder Endkunde beziehungsweise Handwerker hat Favoriten bei den Herstellern. Wenn ich heute einen bestimmten Wechselrichter der einen Firma mit der Wärmepumpe einer anderen kombinieren will, ist das nicht ohne weiteres möglich.
Das heißt, wir brauchen auf der Hardwareseite einheitliche Standards für die Protokolle, mit denen etwa eine Photovoltaikanlage mit dem Energiemanagementsystem kommuniziert, oder dafür, wie eine Ladesäule angebunden wird. Nur so können wir jederzeit jeden neuen Ladesäulenhersteller onboarden, also in das Energiemanagementsystem einbinden. Erst dann kann ich unterschiedlichste Kombinationen im Markt platzieren.
Wir wissen, der Markt wird sich konsolidieren, es wird neue Player geben, andere werden verschwinden. Ich muss eine gewisse Flexibilität haben, auch unterschiedlichste Konstellationen von Produkten und Produktvarianten zu kombinieren.
Die Hersteller haben natürlich Interesse an dieser Abgrenzung. Wie kann man ihnen gemeinsame Standards schmackhaft machen?
Beispielsweise gibt es Vorbilder aus der Automatisierungstechnik. Da haben sich drei, vier, fünf Standards gebildet. Der Vorteil für den Hersteller ist, dass er seinen Kunden eine gewisse Flexibilität bereitstellt. Das heißt, der Wechselrichter eines Herstellers X kann auch mit jedem anderen Gerät kombiniert werden. Dadurch habe ich eventuell die Möglichkeit, mehr Produkte zu verkaufen und einen größeren Umsatz zu generieren.
Man muss sich gegenüber den Kombinationsmöglichkeiten, dem Zusammenarbeiten mit anderen Unternehmen, öffnen, um zukünftig noch Chancen zu haben, am Markt teilnehmen zu können. Der Wettbewerbsdruck ist einfach riesengroß.
Bei mir zuhause korrespondieren die PV-Anlage, die Batterie und die Wallbox zwar, ich brauche aber verschiedene Apps, um alles zu steuern und im Blick zu haben. Wenn jetzt noch eine Wärmepumpe dazu kommen soll, wird es noch komplizierter. Wie lässt sich das anwenderfreundlicher gestalten?
Aus eigener Erfahrung, auch außerhalb der Energiebranche, kann ich sagen, dass die Grundvoraussetzung immer die ist, dass die User Experience, also das Kundenerlebnis, sehr gut sein muss.
Die Bedienung einer App muss intuitiv sein, es muss Spaß machen und es darf auch keine Medienbrüche geben. Fünf unterschiedliche Apps zu verwenden, ist ein Medienbruch. Das muss eine App sein. Auch fünf unterschiedliche Bezahlkarten im Portemonnaie zu haben, ist ein Medienbruch. Das funktioniert nicht. Der Erfolg der Energiewende steht und fällt mit dieser Sexyness des Kundenerlebnisses.
Was auch noch sehr wichtig ist und viele bisher wenig berücksichtigen, ist die Sicherheit der Kommunikation.
Wir müssen über das Thema Datenschutz sprechen und das System muss jederzeit verfügbar sein, auch aus dem Urlaub. Was viele ebenfalls noch nicht auf dem Schirm haben, ist, dass die Datenspeicherung in der Cloud kostengünstig und nachhaltig sein muss. Jede Mail, jeder Post, jeder Wechselrichter, jede Wärmepumpe, die Daten in die Cloud schickt, bedeutet Kosten. Irgendwo wird ein Rechenzentrum betrieben, das natürlich auch wieder Energie verbraucht. Also müssen wir über das Thema Kosten und Nachhaltigkeit sprechen.
Wenn das alles passt, dann ist so eine Lösung anwender- und kundenfreundlich.
Im Bereich Social Media gibt es eine Metaapp, die verschiedene Apps vereint. Könnte es so etwas auch für die Energieanlagen zuhause geben?
Das geht dann in die Richtung eines Single Sign-on-Portals. Das könnte ein Ansatz sein, den wir in anderen Bereichen schon realisiert haben. Das ist eine Oberfläche, über die man sich mit einem Benutzernamen und Passwort einloggt. Dahinter liegt dann ein Portal, das auf alle anderen Systeme zugreift. Das wäre durchaus machbar. In diesem Portal kann man Nutzer- und Rechteverwaltung betreiben, so dass beispielsweise ein Servicetechniker, der darauf zugreift, andere Möglichkeiten hat, etwas einzustellen als der Endkunde. Das bietet dann sogar Schnittstellen zum Hersteller, wenn es um Bestellungen, Projektierung, Auslegung geht.
Welches sind denn die jüngsten Entwicklungen und Trends in Sachen Digitalisierung im Energiemarkt?
Als IT- und IoT-Experte würde ich aus dieser Perspektive antworten. Wir nennen es, „die IT kommt langsam aus dem Keller“. Früher war die IT-Abteilung im Unternehmen zuständig für Laptops, Handys, für die Bestellung und die Funktion des Druckers. Heute unterstützt sie neue Geschäftsmodelle. Das ist der Trend, das heißt, die IT-Abteilung selbst ist Bestandteil des Geschäfts, sie wird vom Produktmanagement, vom Business Development und auch von der Geschäftsführung mit in die Gespräche einbezogen, etwa, wenn es um neue Produkte geht.
Ein weiterer Trend ist die Cloudifizierung. Viele Lösungen gehen in die Cloud, Daten sind darüber verfügbar. Noch ein Trend sind KI-basierte Sprachmodelle. ChatGBT ist ein Trend, über den alle reden.
Wie könnte KI insgesamt dazu beitragen, die Energiewende zu unterstützen?
Da gibt es unterschiedliche Sichtweisen.
Was wir heute am stärksten sehen und ein Buzzword ist, ist Predictive Maintenance. Angefangen von herkömmlichen Kraftwerken haben wir bei einem großen Konzern dafür gesorgt, dass sich die Ausfallraten reduzieren. Eine KI, ein Machine Learning Algorithmus, sorgt hier im Hintergrund dafür, dass man erkennen kann, wann ein Ausfall auftreten könnte und wann es am besten ist, die komplette Anlage herunterzufahren, zu warten und dann wieder hochzufahren.
Durch das Value Based Maintenance oder Predictive Maintenance kann ich erkennen, ob sich der eingesetzte Speicher so verhält, wie ich es mir vorgestellt habe. Oder ob das Batteriemanagementsystem auch so funktioniert, wie es fernab der Realität entwickelt wurde. Die KI hilft der Entwicklungsabteilung und auch der Service kann mit dem erwähnten Sprachmodell unterstützt werden.
In Zukunft werden wir wahrscheinlich häufiger mit Chatbots sprechen, also mit künstlicher Intelligenz, weil diese eine Frage relativ schnell, gut und präzise beantworten kann. Für die Beantwortung von Standardfragen wird dann kein Personal mehr benötigt. Und wenn wir nicht nur von Sprachmodellen sprechen, sondern auch von Bild- und Videoanalyse kann ich mir dadurch zukünftig meine PV-Anlage von einer KI erstellen lassen mit der optimalen Anzahl der Module, mit den optimalen Herstellern für diese Kombination, weil zum Beispiel ein Modulwechselrichter besser wäre als ein String-Wechselrichter.
Dieses Interview ist ein Auszug aus einer Folge des The smarter E Podcasts. Das vollständige Interview können Sie hier anhören.