Die Leistungselektronik rückt mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien immer mehr in den Mittelpunkt. Stromrichter verbinden praktische alle Energiewende-Technologien effizient miteinander. Sie übernehmen zunehmend netzbildende Funktionen und sichern somit die Stabilität unserer Stromnetze. Der Markt für netzbildende Wechselrichter und andere spannende neue Anwendungen wird daher in den nächsten Jahren dynamisch wachsen.
Die spannenden aktuellen Trends in Technologieentwicklung und Anwendung erläutert Dr. Sönke Rogalla, Abteilungsleiter Leistungselektronik und Netzintegration am Fraunhofer ISE in Freiburg.
Welche Rolle spielt die Leistungselektronik aktuell in der Energiewende?
Die Leistungselektronik ist die Schlüsseltechnologie für alle Energiewendetechnologien von der Erzeugung durch Wind und PV über die Energiespeicherung in Batterien und Wasserstoff, den Antrieb von Wärmepumpen bis hin zur Ladeinfrastruktur. Im dekarbonisierten Energiesystem der Zukunft werden wir auf allen Systemebenen viel mehr Leistungselektronik als heute benötigen.
Was sind die neuen Funktionalitäten und Aufgaben der Leistungselektronik?
Sie wird zunehmend intelligente Funktionen erfüllen: Während Wechselrichter in der Vergangenheit möglichst effizient Gleichstrom in Wechselstrom wandeln mussten, werden sie zunehmend zum systemsteuernden Element. Im Haushaltsbereich sehen wird das schon seit einigen Jahren. PV-Hybrid-Wechselrichter steuern und optimieren die Energieflüsse zwischen PV-Erzeugung und Batteriespeichern. Zunehmend werden auch Lademöglichkeiten für Elektroautos integriert und in Zukunft sicherlich auch Wärmepumpen.
Im Kleinen können wir den klaren Trend zur Elektrifizierung gut beobachten. Die Leistungselektronik ermöglicht es uns lokal erzeugte Energie lokal zu nutzen. Das funktioniert nur mit effizienten, multifunktionalen Stromrichtern.
Welche Entwicklungen auf Technologieseite waren notwendig, damit die Leistungselektronik diese Rolle überhaupt erfüllen kann?
In den vergangenen zehn Jahren wurden neue Halbleiterkomponenten auf Basis von Siliziumkarbid und Galliumnitrid entwickelt, die nun zunehmend in kommerziell verfügbaren Geräten eingesetzt werden. Diese erlauben deutlich schnelleres und effizienteres Schalten und damit kleinere Filterbauteile, was wiederum zu Einsparungen bei Ressourcen und Kosten führt. Die enorme Verbesserung der Leistungsdichte möchte ich an einem Beispiel aufzeigen: In einem Gehäuse, das vor 15 Jahren notwendig war, um einen 30-kW-Wechselrichter unterzubringen, findet heute ein 300-kW-Wechselrichter Platz. Die Leistungsdichte hat sich in dieser Zeit also etwa verzehnfacht.
Wo sehen Sie aktuell die wichtigsten Technologie-Trends mit Blick auf Anwendungen?
Immer mehr Lösungen werden integriert und elektrifiziert, ob dies nun die Ladeinfrastruktur ist oder die Wärmepumpe. Diese Hybridisierung, die wir – wie eben beschrieben - auf der Haushaltsebene schon erleben, setzt sich im Gewerbebereich fort. Dort ist es spannend, vielfältige Industrieprozesse mit möglichst viel Eigenstrom zu versorgen und sich gleichzeitig möglichst netzdienlich zu verhalten. Steuerbare Lasten haben hier ein noch größeres Potenzial. Zwischen allen diesen Elementen sind leistungselektronische Wandler notwendig. Schlussendlich werden wir auch bei sogenannten Utility-Scale-Anlagen, also z.B. PV-Großkraftwerke, eine starke Hybridisierung sehen. Hier stehen wir eher noch am Anfang. Aber Netzanschlusspunkte werden ein zunehmend rares Gut werden. Deshalb wird man versuchen, PV, Wind, Speicher, Elektrolyse, Schnellladeinfrastruktur etc. möglichst an gemeinsamen Netzschlusspunkten zu betrieben. Und Sie erraten es: Alles verbunden mit Leistungselektronik.
Inwiefern beeinflusst die Leistungselektronik dann auch die Stromnetze?
Ja, das ist eine sehr spannende Sache. Wir werden hier in den nächsten zehn Jahren einen fundamentalen Technologiewechsel durch netzbildende Wechselrichter erleben. Bis heute werden Wechselrichter so programmiert, dass sie den verfügbaren Strom ins Netz einspeisen. Dazu müssen sie sich zunächst auf die Netzfrequenz synchronisieren. Netzspannung und Netzfrequenz werden jedoch nach wie vor durch die rotierenden Generatoren der Großkraftwerke geregelt. Was passiert aber nun, wenn über weite Strecken des Jahres keine konventionellen Kraftwerke mehr am Netz sind?
Hier kommen netzbildende Wechselrichter ins Spiel. Sie werden so geregelt, dass sie ähnlich wie die Synchrongeneratoren die Netzspannung und -frequenz regeln können. In den letzten Jahren ist man hier in der Forschung sehr gut vorangekommen. Wir konnten in großen Labortests nachweisen, dass es möglich ist, ein Verbundstromnetz nur mit Wechselrichtern stabil zu betreiben. Jetzt ist die Zeit reif, dass die Technologie in den Einsatz kommt. Wir werden in naher Zukunft dazu spannende Märkte sehen. Insbesondere für netzbildende Groß-Batteriespeicher wird es kurzfristig zusätzliche Erlösmodelle geben. Mittelfristige wird die Netzbildung auch für andere Technologien ein Thema, denn immerhin müssen im Verlauf des kommenden Jahrzehnts etwa die Hälfte der Wechselrichter netzbildend sein, um einen stabilen Netzbetrieb zu gewährleisten.
Wie wird sich der Leistungselektronik-Markt vor dem Hintergrund der Energiewende entwickeln?
Die Energiewendetechnologien Windkraft, Photovoltaik, Batteriespeicher, Elektrolyse, Wärmepumpen, Elektromobilität und Stromrichter für Netzanwendungen sind allesamt enorme Wachstumsmärkte. Keine dieser Technologien funktioniert ohne Leistungselektronik. Bis 2045 werden wir in Deutschland etwa 1 Terawatt an Leistungselektronik am Netz haben. Wenn wir den weltweiten Bedarf betrachten, sprechen wir also von enormen Mengen.
Welche Herausforderungen ergeben sich daraus mit Blick auf die Ressourcen?
Für mich sind vor dem Hintergrund des gigantischen Bedarfs zwei Dinge entscheidend. Zum einen der Materialbedarf: Wir können uns nicht mehr leisten, linear zu denken, sondern müssen die eingesetzten Materialien in einem Kreislauf führen. Von vorneherein Reparierbarkeit und Rezyklierbarkeit mitzudenken, ist ein wichtiges Entwicklungsthema.
Der zweite Punkt ist die Steigerung der Systemspannungen nach der einfachen Formel: Höhere Spannung – niedriger Strom - geringere Leiterquerschnitte – weniger Kupfer. Insbesondere in Hochleistungsanwendungen, wie PV-Batterie-Kraftwerken oder Schnellladeinfrastruktur für den Schwerlastverkehr, scheint die Zeit reif zu sein, um mit der Leistungselektronik in den Mittelspannungsbereiche über 1.500 V zu gehen. So lassen sich in Zukunft Kosten und Material einsparen. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir als Fraunhofer ISE in Kürze das Leitthema „Mittelspannung“ starten, um einen Fokus auf die Forschung und Entwicklung zu diesem Zukunftsfeld zu legen.
Veranstaltungshinweis
Das Seminar Power Electronics for PV, Batteries and EVs findet bereits zum 17. Mal statt. Es wendet sich an Entwickler von Leistungselektronik, aber auch an Personen, die die aktuellen Leistungselektronik-Trends besser verstehen möchten. Der Intensivkurs findet am 17. und 18. Juni im Vorfeld der Intersolar Europa im Novotel Messe München statt.