„Die netzbildende Technologie ist ein wichtiger Teil der Energiewende“

Experteninterview – 28. Mai 2024

Wie können die Netze bei Abschaltung konventioneller Kraftwerke stabil gehalten werden – mit dieser Frage beschäftigen sich derzeit Experten für Netzstabilität und Energiesicherheit.

Denn bisher sorgten vor allem die Synchrongeneratoren thermisch betriebener Erzeugungsanlagen für Netz- und Frequenzstabilität. Dass die Erneuerbaren in Verbindung mit Energiespeichern dies auch können, beweisen Unternehmen derzeit mit dem Einsatz sogenannter netzbildender Wechselrichter.

Im Interview mit Daniel Duckwitz, Product Manager Grid Services und Hariram Prabhakaran, Head of Industry Solutions bei SMA Solar Technology wollten wir wissen, wie solche netzbildenden Kraftwerke funktionieren, wohin sich dieser Markt entwickelt und natürlich: ob Erneuerbare 24/7 mit netzbildender Technologie möglich sein werden.

Interview mit Daniel Duckwitz und Hariram Prabhakaran von SMA Solar Technology

Daniel Duckwitz, Product Manager Grid Services, SMA

Hariram Prabhakaran, Head of Industry Solutions, SMA

In der Solarbranche sind netzbildende Wechselrichter derzeit in aller Munde. Können Sie uns erstmal erklären: Was ist ein netzbildender Wechselrichter? Was unterscheidet ihn von einem gewöhnlichen Wechselrichter?

H.Prabhakaran: Zunächst einmal zum Kontext: Wenn wir die Energiewende erfolgreich meistern und konventionelle Kraftwerke abschalten wollen, brauchen wir drei verschiedene Dinge. Das Erste ist: viel mehr erneuerbare Energien. Der zweite, wichtige Teil ist: mehr Speicher. Das Dritte ist Netzstabilität. Eine Systemumstellung auf 100 Prozent Erneuerbare kann nur gelingen, wenn alle drei Faktoren erfüllt werden.

SMA hat eine netzbildende Technologie für die Stadt Bordesholm in Deutschland gebaut und demonstriert, dass es möglich ist, nur mit erneuerbaren Energien, Speichern und netzbildender Technologie ein Netz bedienen und stabilisieren zu können. Die netzbildende Technologie ist ein wichtiger Teil der Energiewende.

D.Duckwitz: Eigentlich ist der Startpunkt gar nicht unbedingt dieser Wechselrichter, sondern: Welche Bedarfe habe ich eigentlich im Energiesystem? Ein netzbildender Wechselrichter kann das Energiesystem stabilisieren, also quasi bilden, und dadurch kann man Netze nur mit Wechselrichtern auf Basis von Erneuerbaren und netzbildenden Speichern betreiben. Daher kommt dieser Begriff Netzbildung.

Das ist aktuell, zum Beispiel bei PV-Wechselrichtern, nicht der Standard. Das heißt, ein Netz nur aus PV-Wechselrichtern und PV-Erzeugung könnte eben nicht alleinstehend betrieben werden. In Zukunft werden Erneuerbare und Speicher aber das Netz bilden.

Was sind eigentlich die Zutaten für den stabilen Netzbetrieb?

D.Duckwitz: Da geht es einmal um Spannungsstabilität und Frequenzstabilität. Das heißt, Spannung und Frequenz müssen nach Störungen immer wieder eingefangen und stabilisiert werden. Dann gibt es noch eine dritte Zutat für den zuverlässigen Netzbetrieb, das ist der Netzwiederaufbau – um nach sehr seltenen Extremereignissen neu starten zu können.

Bisher kommen diese Zutaten aus konventionellen Kraftwerken, die in der Zukunft überwiegend verschwinden werden. Daher der Bedarf, dass man sich mit Netzbildung beschäftigt. Ganz konkret heißt es dann für die Wechselrichter, dass sie als Spannungsquelle geregelt werden, weil sie dadurch die Spannung und durch ihre Momentanreserve die Frequenz stabilisieren.

Das ist dann ähnlich zu der Schwungmasse im konventionellen Kraftwerk. Dann gibt's noch die Fähigkeit für den Schwarzstart. Das heißt, dass ein Batteriespeicher mit netzbildendem Wechselrichter sich selbst starten kann und damit als Starteinheit für den Netzwiederaufbau dienen kann, also das es als erste Anlage überhaupt die Spannung bereitstellt und das Netz sich von diesem Ausgangspunkt wiederherstellen kann.

Konkret zur Leistungselektronik für netzbildende Wechselrichter – wo stehen wir da gerade? Welche technischen Eigenschaften brauchen die Produkte, die jetzt gerade für den netzbildenden Betrieb entwickelt werden, beispielsweise größere Überlastfähigkeit?

D.Duckwitz: Überlastfähigkeit ist wichtig, um schnell bei Momentanreserve zusätzliche Leistung abgeben zu können. Abgesehen davon besteht die Fähigkeit zur Netzbildung aber überwiegend aus einer neuen Regelung, also einer neuen Software auf dem Wechselrichter, sodass er einerseits die Netzbildung ermöglicht, aber auch alle anderen normalen Anlagenfunktionen so wie bisher vollständig bereitstellt.

Heißt also, dass die Batterie als Energiespeicher genutzt wird, um zum Beispiel Energie vom Mittag zum Abend zu verschieben, aber dann auch jederzeit bereit ist für zusätzliche Leistungsspitzen, um die Frequenz wieder einzufangen. Diese Regelung, diese Software, das ist das eigentlich Neue.

Auch wenn der Wechselrichter an sich, also die Hardware, gleich oder sehr ähnlich aussieht, ist es eine stark ergänzte Funktionalität, und die ermöglicht den Systembetrieb komplett ohne konventionelle Kraftwerke.

Was wir machen: Wir entwickeln im Prinzip die gesamte Software, die gesamte Regelung neu. Wir müssen in jedem Markt die entstehenden Normen beachten, sodass wir einmal die entstehenden Normen rund um Stabilität und Netzbildung erfüllen, aber auch die vorherigen Normen weiterhin erfüllt werden. Somit bekommt man ein Produkt, das bezogen auf die Hardware erst mal gleich aussieht wie vorher, aber sehr anders ist im Betrieb und in den Funktionen. Im Betrieb wird dann nicht mehr einfach eine vorgegebene Leistung eingespeist, sondern bei Bedarf aufgrund der Netzstabilität sofort davon abgewichen. Wenn das Netz gerade etwas anderes braucht, dann muss die Anlage vom Sollwert abweichen.

Das ist ein großes Spannungsfeld, in das man kommt, weil das Verhalten sich unter Umständen leicht vom bisher erwarteten Verhalten unterscheiden kann. Es geht dann zwar nur um einen Sekundenbruchteil, aber das muss in der ganzen Betriebsführung berücksichtigt werden.

Mit welchen Konfigurationen in Verbindung mit netzbildenden Wechselrichtern sind Stabilitätsdienstleistungen möglich und worin unterscheiden sich diese?

D.Duckwitz: Momentan geht es nur um Großanlagen, also Leistungsbereich ungefähr ab 10 Megawatt bis in den Gigawatt-Bereich, das heißt kleinere Speicheranlagen sind erstmal außen vor. Das liegt daran, dass die Technologie neu ist, und es einfacher ist, mit wenigen großen Anlagen zu beginnen – gleichzeitig ist aber mit den großen Anlagen schon ein maßgeblicher Beitrag zur Systemstabilität möglich.

Bei großen Batteriespeichern in der Hoch- und Höchstspannung gibt es aktuell schon die Möglichkeit, Stabilitätsdienstleistungen zu bringen. Das liegt daran, dass man einen Energiespeicher braucht, um die Frequenz zu stabilisieren. Ohne den Speicher ist es nicht möglich, dass man zuverlässig jederzeit reagieren kann, weil die PV nun mal nur zur Verfügung steht, wenn die Sonne scheint.

Dementsprechend ist der Fokus erstmal auf Batteriegroßanlagen. Bald folgen dann voraussichtlich große PV-Hybridanlagen, die ebenfalls über einen Speicher verfügen.

Welche Geschäftsmodelle gibt es auf den Märkten, auf denen Batterie-Speicherkraftwerke (Battery Energy Storage System – BESS) und netzbildende Wechselrichter bereits zur Netzstabilisierung zum Einsatz kommen?

D.Duckwitz: Zum einen gibt es die Stabilitätsdienstleistungen, also neue Netzdienstleistungen insbesondere für Momentanreserve und Kurzschlussleistung. In diesem Bereich ist Großbritannien der Vorreiter. Dort gab es vor zwei Jahren die ersten großen Ausschreibungen, an denen auch Batterieprojekte teilnehmen konnten. Von den neuen Technologien wurden dort ausschließlich Batteriespeicher bezuschlagt.

Somit ist Großbritannien und speziell Schottland der erste Markt, wo jetzt Projekte in der Umsetzung sind, an denen SMA beteiligt ist und wo dieses Jahr die ersten Inbetriebnahmen stattfinden werden. Vergleichbare Märkte entstehen auch in der EU auf Basis der neuen „nicht-frequenzgebundenen Systemdienstleistungen“ – diese werden aktuell national implementiert. In Deutschland wird das Marktdesign voraussichtlich dieses Jahr verabschiedet. Deutschland wird damit voraussichtlich der erste kontinentaleuropäische Markt für Momentanreserve werden.

Dann gibt es noch andere Märkte wie Australien. Dort gibt es auch Ausschreibungen für Momentanreserve, allerdings oft regional begrenzt.

Es gibt noch einen anderen Ansatz, wie netzbildende Anlagen ans Netz kommen. Das sind die schwachen Netze - also Netze, die nicht ausreichende Übertragungskapazitäten haben, wo es aber dennoch wünschenswert ist, viele erneuerbare Anlagen zu bauen. Ein Beispiel ist eine Gegend in der Wüste in Australien, die weit weg von Verbrauchszentren ist, wo man sich genau überlegt, wie viele Leitungen will man da überhaupt bauen, andererseits aber die Fläche gut nutzbar ist für PV-Anlagen.

Dadurch entstehen viele PV-Anlagen, und dann ist die Herausforderung, dass man dort überhaupt das Netz nutzen kann. Dort kann man mit netzbildenden Batteriespeichern zweierlei erreichen: Die Stabilität wird lokal verbessert, also insbesondere die Spannung stabil gehalten. Zusätzlich erlaubt es die Batterie auch, den Energietransport in die Abendstunden zu verschieben. Aus Projektentwickler-Sicht geht es darum, dass man die Flächen und den Netzanschluss nutzbar macht.

Das wird nicht nur in Australien kommen, es wird auch in Europa in Zukunft der Normalfall sein, dass Netze hoch ausgelastet sind, dass der Netzausbau sich unter Umständen als langwierige, jahrzehntelange Angelegenheit darstellt und man deswegen auch mit hochausgelasteten und dadurch schwachen Netzen umgehen muss. Auch hierzulande werden also große Batteriespeicher zwei Herausforderungen lösen: Stabilisierung und Entlastung des Netzes.

Was sehen sie gerade noch für Schwierigkeiten in Ländern wie Großbritannien wo die ersten Projekte schon angelaufen sind?

D.Duckwitz: Eine aktuelle Herausforderung ist, dass man einerseits Standards und Normen hat, die gerade im Entstehen sind, andererseits möchte man aber sehr schnell sein. Alle Beteiligten sehen, dass man die Stabilität gewährleisten muss. Das heißt, man möchte schnell sein, gleichzeitig standardisieren, weil man viele Projekte umsetzen möchte. Dieses Spannungsfeld aus neuen Anforderungen, Standardisierung und Geschwindigkeit ist herausfordernd.

H.Prabhakaran: Auf Systemseite lässt sich folgende, technische Herausforderung nennen: Es gibt Länder, wo die Bedarfe noch nicht abschließend erfasst wurden. Es gibt Normen, aber sie sind alt und nicht für netzbildende Technologien erlassen worden. Eine Herausforderung eher auf politischer Ebene ist es, für Projektentwickler Anreize zu schaffen.

Wir von SMA ermöglichen mit unserer Technologie, Momentanreserve bereitzustellen. Das heißt Extrakosten, auch für unsere Kunden, die Projektentwickler. Man wird diese Technologie nur einsetzen, wenn man weiß, dass es ein passendes Geschäftsmodell und ein geeignetes Investitionsumfeld dafür gibt, wo sich Geld verdienen lässt. In Großbritannien hat man dies geschafft.

Welche Vor- und Nachteile gibt es bei der Bereitstellung von Stabilitätsdienstleistungen mit BESS+netzbildenden Wechselrichtern im Vergleich zu Synchrongeneratoren?

D.Duckwitz: Der Vorteil von Batterien ist: Sie sind sehr effizient, weil sie zwei Probleme gleichzeitig erledigen. Die Energiespeicherung zur Verschiebung der erneuerbaren Erzeugung zur Last und die Systemstabilität. Ich kann also beides aus einer Anlage lösen, vorausgesetzt es gibt die Möglichkeit, genug solche Anlagen zu bauen. Das hat dann viel mit Marktdesign zu tun. Also, ist der Energiemarkt für sich genommen so aufgestellt, dass es wirtschaftlich ist, einen Batteriespeicher zu bauen, um Energie in die Abend- und Nachtstunden zu verschieben?

Einerseits das, und andererseits: Werden die Stabilitätsdienstleistungen auch entsprechend vergütet? Wenn es so ist, ist die Batterie eindeutig die beste, kostengünstigste Technologie und auch sehr flexibel. Man kann dann auch die einzelnen Funktionen zeitlich unterschiedlich gestalten, so dass man manche Funktionen nur, wenn sie gebraucht werden, zuschaltet, dafür anders gewichtet zwischen Energiehandel und Stabilisierungsfunktionen.

Wenn man das mit dem Synchrongenerator vergleicht: der wird gebaut und dann ist er so, wie er gebaut wurde, da kann man nichts beeinflussen. Wenn man keine konventionellen Kraftwerke mit Brennstoff mehr baut, kann man den Generator eigentlich nur noch als für sich stehende Maschine, also im Phasenschieberbetrieb, einsetzen. Dann kann der zwar auch stabilisieren, aber er kann sonst nichts, und dafür ist er zu teuer.

Das hat man auch in den Ausschreibungen in Großbritannien gesehen: Da sind auch Synchrongeneratoren bezuschlagt worden, aber preislich zu einem Vielfachen von den Preisen, die Batterien für ihre Stabilitätsdienstleistungen bekommen. Das heißt, aus volkswirtschaftlicher Sicht ist es deutlich teurer, auf Synchronmaschinen zu setzen.

Können die Synchrongeneratoren thermischer Kraftwerke zukünftig vollständig ersetzt werden?

D.Duckwitz: Ja. Für einzelne Stunden im Jahr ist es bereits heute so, dass man den Bedarf zu 100 Prozent aus Erneuerbaren decken kann, aber sich noch nicht traut, die konventionellen Kraftwerke für diese Zeiträume komplett abzuschalten. Sobald genug netzbildende Batterien im System sind, wird es möglich sein, diese komplett auszuschalten.

H.Prabhakaran: Es kommt darauf an, wieviel Speicherkapazität wir haben. Wenn z.B. 24 Stunden Speicherkapazität mit unserer netzbildenden Technologie zusammenkommt, dann können wir theoretisch alle rotierenden Technologien austauschen. Aber natürlich werden kurzfristig nicht alle Synchrongeneratoren ersetzt werden. Das dauert mehrere Jahrzehnte.

Über die nächsten Jahrzehnte wird es auch zeitweise einen Bedarf für konventionelle Kraftwerke mit erneuerbaren Brennstoffen geben. Die Frage ist, wo liegt das volkswirtschaftliche Optimum aus Batteriespeicher und Wasserstoffkraftwerk? Die geringe Effizienz und die hohen Kosten von Wasserstoff sprechen dafür, dass das Optimum bei einem höheren Anteil von Batteriespeichern liegt.

Welche neuen Geschäftspotenziale bieten sich für Projektentwickler und -betreiber durch BESS+netzbildende Wechselrichter?

D.Duckwitz: Zum einen sind es Ausschreibungen für Stabilitätsdienstleistungen. Das vorteilhafte ist, dass für die Stabilitätsdienstleistungen über viele Jahre laufende Verträge geschlossen werden, beispielsweise über fünf bis zehn Jahre Laufzeit. Das ist für beide Seiten attraktiv: Für Projektentwickler, um Investitionssicherheit zu haben, und für die Allgemeinheit, weil zu geringen Kosten die Stabilität gesichert wird.

Das andere offensichtliche Potenzial ist der Umgang mit verzögertem Netzausbau. Aus Projektentwicklersicht werden Netzanschlüsse nutzbar, indem man das Netz lokal stärkt. Aus Sicht der Allgemeinheit wird so zusätzliche kostengünstige Energie in den Markt gebracht. Dazu kommt, dass man mit Batterien auch den Netzwiederaufbau mit durchführen kann - auch das ist eine Systemdienstleistung, die vergütet wird.

Aus Betreibersicht geht es also um drei verschiedene Märkte: den Energiehandel, den Stabilitätsmarkt und den Netzwiederaufbaumarkt.

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