„Ohne Mehrheit gibt es keine Schnelligkeit“

Experteninterview – 23. Juli 2024 | Sarah Hommel de Mendonça

Joschka Fischer, ehemaliger Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland

Joschka Fischer, von 1998 bis 2005 Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland, war einer der prägenden Politiker der deutschen Energiewende. Im Rahmen des "The Smarter E Europe 2024" Events sprach er auf der "We Choose Earth Tour" über das globale Engagement zum Klimaschutz. Organisiert wurde die Tour von EDP, einem weltweit tätigen Energieunternehmen mit Sitz in Portugal.

In einem Interview wollten wir wissen, wie er den Verlauf der Energiewende als Teil des Klimaschutzes in Deutschland bewertet, wie die aktuelle Regierung dabei abschneidet und wie wir weiterhin einen nachhaltigen Weg in die Zukunft einschlagen können.

Interview mit Joschka Fischer, ehemaliger Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland

Sarah Hommel de Mendonça und Joschka Fischer

Das politische Vorantreiben der Energiewende, mit Verabschiedung des ersten EEGs, gehört zu den politischen Hinterlassenschaften ihrer Regierungszeit. Bitte bewerten Sie den Verlauf der Energiewende in Deutschland in den letzten beiden Dekaden?

Das EEG war entscheidend, es war sozusagen der Urknall in Deutschland, nicht nur für die Durchsetzung einer Idee der Energiewende, sondern vor allem für die Umsetzung. Das hat eine gewaltige Veränderung gebracht. Dann kam die lange Phase der Angela Merkel, in der in der Umsetzung nicht allzu viel passiert ist. Jetzt, mit der neuen Regierung und ihrem Problem, stehen wir natürlich wieder vor einer sehr schwierigen Situation. Das kann man auch am Ausgang der Europawahlen sehen. Das Abschneiden der Grünen war alles andere als berauschend. Ich denke, das lag auch daran, dass mit dem Heizungsgesetz zu wenig auf die Menschen Rücksicht genommen wurde.

Man hat sie nicht mitgenommen. Das war eine technokratische Entscheidung, die mehr abgeschreckt hat, als dass sie sie mitgenommen hat. Nun hat die CDU ja Abstand genommen von ihrer Ankündigung, dass, wenn sie drankommt, das Heizungsgesetz als Ganzes wieder in den Orkus gekippt wird, sondern hat da offensichtlich noch mal nachgedacht, und es ist ja keine Schande, wenn man sich eines Besseren besinnt. Insofern denke ich, wir werden eine Kontinuität sehen, auch in der Politik. Selbst wenn es zu politischen Veränderungen in Deutschland kommt. Mein Eindruck ist der, dass wir gerade dabei sind, auch unsere wirtschaftliche Zukunft zu verspielen, wenn wir nicht agieren.

Ich meine, wenn ich höhere Wettbewerbsfähigkeit, wo ist die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Automobilindustrie in zehn Jahren, wer wird dann wettbewerbsfähiger sein? China, das auf die Mobilitätswende gesetzt hat, mit dem Übergang zur Elektroindustrie und langfristiger Planung, oder Deutschland, das immer noch davon träumt, dass sozusagen der Porsche Carrera eine große Verbrennerzukunft hat? Die Antwort ist recht einfach. Es werden die Chinesen sein.

Lassen Sie uns nochmal die Energiewende als Gesamtes betrachten: Wie zufrieden sind sie mit dem heutigen Stand?

Einerseits zufrieden, andererseits ärgere ich mich auch sehr. Einerseits zufrieden, denn weite Teile der Wirtschaft haben das ihre getan und werden das ihre tun. Aus Wettbewerbsgründen, weil daran die Modernität des Standortes hängt, und das ist gut. Wenn ich zurückdenke, in den 80er-Jahren, große Energieunternehmen wie RWE und Eon waren auf einer völlig anderen Spur, als sie es heute sind. Da gibt es große Fortschritte. Auf der anderen Seite ist die große Herausforderung aber: Scale. Das Wachstum frisst die ganzen Erfolge auf. Alles, was bei den Emissionen an Positivem erreicht wurde, wird durch das quantitative Wachstum und auch das qualitative Wachstum der Bedürfnisse aufgefressen. Anstatt eine Regierung zu haben, im wichtigsten Industrieland der EU und drittgrößte Industriestandort weltweit immer noch, haben wir eine Regierung, die sich selbst permanent eine Falle stellt und dazwischen grätscht. Das ist sehr ärgerlich.

Sie haben gerade schon das Heizungsgesetz angesprochen. Wie bewerten sie die Energiepolitik der derzeitigen deutschen Regierung?

Ich denke, der verantwortliche Minister ist sehr engagiert. Das große Problem ist der Vertrauensverlust, den er offensichtlich bekommen hat aufgrund einer technokratisch engen Implementierung dieses Gesetzes. Aber das muss die Führung bewältigen, so gut es geht, und das wird nicht einfach. Aber was ist die Alternative? Die Alternative wäre ein Zurück zu einer mehr rhetorisch agierenden Regierung, und da muss ich mit allem Respekt sagen, was es an Energiewende gegeben hat, ist im Wesentlichen auf die Grünen zurückzuführen, in der Vergangenheit, und ich finde, unter dem Gesichtspunkt hat Robert Habeck eine entscheidende Rolle.

Was muss denn gesamtgesellschaftlich passieren, damit es schneller geht mit der Energiewende und dem Klimaschutz?

Ich glaube, die die Frage nach der Geschwindigkeit führt in eine Falle. In einer Demokratie brauchen sie Mehrheiten. Wenn sie Gesetze ändern wollen, und wenn sie Strukturen ändern wollen. Dann müssen sie die Menschen mitnehmen, und sie dürfen ihnen keine Angst machen. Dann erreichen sie das Gegenteil. Insofern würde ich sagen, Mehrheit geht vor Schnelligkeit. Schnelligkeit ist nicht das Hauptproblem. Das mag objektiv das Hauptproblem sein, aber ohne Mehrheit gibt es keine Schnelligkeit, dann gibt es gar nichts.

Was muss sich im Bewusstsein der Menschen ändern, damit wir zu dieser Mehrheit kommen, die dann auch zum mehr Geschwindigkeit führt?

Die Mehrheit war ja da, man muss diese Mehrheit pflegen, man darf sie nicht verschrecken. Man muss das Vertrauen wiedergewinnen. Das wird die nächste Phase bestimmen, Wiederaufbau des Vertrauens. Ebenso müssen wir viel stärker ökonomisch argumentieren, Denn es geht hier um die Wirtschaft, es geht hier um die Zukunft der europäischen Wirtschaft und der deutschen Wirtschaft.

Welche konkreten Schritte sollten Regierung und Industrie, auch gemeinsam, unternehmen, um die Klimaziele zu erreichen?

Wir sollten alles tun, um die engagierte Privatwirtschaft weiter zu fördern und bei der Sache zu halten. Ich denke, da gibt es mittlerweile, gerade in der jüngeren Unternehmergeneration, einiges an Potenzial, was gehoben werden kann. Wir sollten uns auch klar sein, dass, wenn wir da den Anschluss verlieren, bei den beiden Umwelttechnologien, bei der Energiewende, bei der Verkehrswende, wenn wir das den Chinesen überlassen, dann werden wir auch wirtschaftlich zurückfallen. Schauen sich die deutsche Automobilindustrie an. Sie sind so stolz auf die Autos, die sie bauen, aber sie geraten mehr und mehr unter Druck, wenn Sie sich die Absatzzahlen anschauen. Man hat hierzulande noch die Illusion, dass wir hier das Entscheiden haben. Aber in den Konzernzentralen weiß man nur zu gut, dass die Entscheidungen auf der Automobilmesse in Peking und in Peking getroffen werden. Die Welt hat sich geändert und das kehrt nicht mehr zurück: Europa wird nicht mehr das Zentrum der Welt sein, und darauf werden wir uns einzustellen haben.

Wie kann die Energiewende so gestaltet werden, dass sie wirtschaftlich tragfähig ist, aber gleichzeitig soziale Gerechtigkeit fördert?

Der Hauptfaktor war Putin. Mit seinem Angriff auf die Ukraine und mit der Unterbrechung der Gaslieferungen hat er sozusagen die Energiewende erzwungen und damit einhergehend hohe Preise. Der Schock führte zu einem Preisschock und billige russische Importenergie wird nicht wiederkommen, davor verwarne ich, dieser Illusion nachzurennen. Das heißt aber, wir werden die Situation hoher Energiepreise längerfristig in diesem Land haben, mit Anpassungsproblemen für manches Unternehmen, wo ich hoffe, dass dann die Regierung hier hilft. Was ich sehr positiv finde, sind die massiven Investitionen in Erneuerbare. Ich denke, das ist ein Weg in die Zukunft, der sehr positiv ist. Aber die Energiepreise bleiben ebenfalls ein Problem.

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