Die Zukunft des europäischen Energiesystems steht und fällt mit Flexibilität

Trendpapier – 10. April 2025

Dieses Trendpapier als PDF herunterladen

Auf dem Weg zur Elektrifizierung Europas und zu einem auf erneuerbaren Energien basierenden Energiesystem bleibt eine entscheidende Herausforderung: der effiziente Ausgleich von Angebot und Nachfrage. Ohne eine größere nachfrageseitige Flexibilität, auch Demand-Side Flexibility (DSF), droht die Energiewende teurer, unzuverlässiger und weniger verbraucherorientiert zu werden. Durch DSF können Verbraucher – ob Privathaushalte, Unternehmen oder Industrie – ihren Stromverbrauch abhängig von den Netzgegebenheiten und Preissignalen in Echtzeit anpassen.

Mit DSF können durch den Einsatz dezentraler Energieressourcen, Speicher und intelligenter Technologien Netzengpässe reduziert, Energiemärkte stabilisiert und Kosten in Milliardenhöhe eingespart werden. Doch trotz ihres Potenzials bremsen regulatorische, wirtschaftliche und technische Hürden nach wie vor den Einsatz von DSF in den europäischen Märkten. Was muss sich ändern, damit DSF zu einem echten Game Changer der europäischen Energiewende wird?

Der Druck auf das europäische Energiesystem nimmt zu während es sich – wenn auch langsam – in Richtung Elektrifizierung bewegt. Die Fortschritte sind zaghaft, doch wird der Bedarf an intelligenteren Lösungen zum Ausgleich von Angebot und Nachfrage immer wichtiger. Mit Demand-Side Flexibility (DSF) kann jeder aktive Kunde auf externe Signale reagieren und seine Energieerzeugung und seinen Verbrauch entweder selbst oder mit Unterstützung der Marktteilnehmer dynamisch und zeitabhängig anpassen. Sie kann durch intelligente dezentrale Energieressourcen wie Nachfragesteuerung, Energiespeicherung, bidirektionale Elektrofahrzeuge und dezentrale erneuerbare Energieerzeugung bereitgestellt werden. Durch die damit mögliche Verlagerung des Verbrauchs werden die Netze entlastet und ein zuverlässigeres, nachhaltigeres und effizienteres Energiesystem geschaffen. DSF hat somit das Potenzial, die Kosten für die Verbraucher zu senken und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu steigern.

Europa befindet sich an einem entscheidenden Punkt: Die Elektrifizierung gilt für viele als Schlüssel zur Erreichung der europäischen Dekarbonisierungsziele. Mangelnde Flexibilität droht jedoch die Energienetze zu überlasten, die Kosten in die Höhe zu treiben und die Effizienz der Energiewende zu gefährden. Ohne eine umfassende Aktivierung der flexiblen Nachfrage und ohne skalierbare und rentable Geschäftsmodelle in ganz Europa droht die nachhaltige Energiewende teurer und weniger verbraucherorientiert zu werden. Einige Märkte haben zwar bereits Schritte zur Integration von DSF unternommen, doch auf vielen Märkten bestehen nach wie vor regulatorische, wirtschaftliche und technische Hürden, die einer verstärkten Teilnahme im Wege stehen. Um das Potenzial von DSF voll auszuschöpfen, müssen diese Hürden beseitigt und die Faktoren verstanden werden, die das Wachstum von DSF beeinflussen, seien es politische Initiativen, das Marktkonzept oder technologische Innovation.

Demand-Side Flexibility: der Schlüssel zu einem erschwinglichen und wettbewerbsfähigen EU-Energiesystem

Verbraucher können ihren Stromverbrauch aktiv anpassen, indem sie ihn in Abhängigkeit von Preissignalen, die den Energiemix und die Verfügbarkeit von Strom auf den Großhandelsmärkten bzw. Netzbeschränkungen widerspiegeln, erhöhen oder senken. Damit wird DSF zu einem leistungsfähigen Instrument für das Systemmanagement. Mit steigendem Anteil erneuerbarer Energien am Strommix wird DSF in mehrfacher Hinsicht unverzichtbar: zur Integration fluktuierender Stromerzeugung, zur Vermeidung teurer Nachfragespitzen und zur Entschärfung von Netzengpässen.

Laut einer Studie von smartEn , in der die Vorteile von Demand-Side Flexibility (DSF) in der EU im Jahr 2030 quantifiziert wurden, hat diese das Potenzial, die Abregelung erneuerbarer Energien um 15,5 TWh (61 Prozent) zu reduzieren und jährlich 37,5 Millionen Tonnen (8 Prozent) an Treibhausgasemissionen einzusparen. Sie kann auch dazu beitragen, mindestens 60 GW an Spitzenerzeugungskapazität zu vermeiden, was zu jährlichen Einsparungen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro und Einsparungen bei den Netzausbaukosten von 11,1–29,1 Milliarden Euro pro Jahr führt. Zusätzlich können Verbraucher mit flexiblen Assets jährlich mehr als 71 Milliarden Euro einsparen. Gleichzeitig profitieren alle Verbraucher von niedrigeren Großhandelspreisen und Systemkosten mit einem jährlichen Einsparpotenzial in Höhe von mehr als 300 Milliarden Euro.

Zwiespältiges Bild: Fortschritte und Hürden auf dem europäischen Markt

Trotz der offensichtlichen Vorteile ist der explizite Zugang zu DSF auf den europäischen Energiemärkten nach wie vor fragmentiert und wird durch verschiedene rechtliche und technische Hürden eingeschränkt.

„2024 Market Monitor For Demand Side Flexibility“ von smartEn und LCP Delta

Explizite DSF wird von Marktteilnehmern wie Aggregatoren angeboten, die aktiv Flexibilitätsdienstleistungen wie Großhandels- und Systemdienstleistungen auf organisierten Energiemärkten anbieten. In einigen Regionen wie Frankreich, Großbritannien und Schweden sind positive Entwicklungen bei der Integration privater Anlagen in Systemdienstleistungen zu verzeichnen. Ein verbesserter Marktzugang – insbesondere für andere Sektoren und Flexibilitätsarten – bleibt jedoch eine Herausforderung. Eine Ausnahme bildet Polen: Hier wurden einige Hürden überwunden, indem ein unabhängiger Rahmen für Aggregatoren geschaffen wurde, der Flexibilitätsdienstleistern den Zugang zu verschiedenen Märkten ermöglicht. Das unterstreicht die Bedeutung regulatorischer Rahmenbedingungen, wenn es um die Teilnahme an DSF geht.

Gleichzeitig ist die implizite DSF immer mehr im Kommen. In diesem Fall passen die Verbraucher ihren Energieverbrauch als Reaktion auf Preissignale von den Großhandelsmärkten an. Dieser Ansatz kommt zunehmend privaten Verbrauchern zugute, die ihren Energieverbrauch auf der Grundlage von Echtzeitpreisen optimieren können. Wie wirksam die implizite Flexibilität ist, hängt jedoch stark vom Bewusstsein der Verbraucher, dem Zugang zu Echtzeit-Preisinformationen und der Verfügbarkeit von Smart Metern und intelligenten Technologien ab, die eine automatisierte Nachfragesteuerung ermöglichen. Zu den Ländern mit den besten Ergebnissen und dem größten Angebot an impliziter DSF gehören Großbritannien, Spanien, Belgien und die nordischen Länder. Das Potenzial von DSF, zur Netzstabilität und zu Kostensenkungen beizutragen, ist offensichtlich. Das Ausmaß, in dem dieses Potenzial ausgeschöpft wird, ist jedoch in den verschiedenen nationalen Märkten sehr unterschiedlich.

Regionale Flexibilitätsmärkte, die Ortsnetze bei Engpässen entlasten, schaffen es kaum über Pilotinitiativen hinaus. Der Grund dafür: Verteilnetzbetreiber haben kaum Anreize, Flexibilitätsdienstleistungen als Alternative zu konventioneller Netzverstärkung zu beschaffen. Diese fehlenden Anreizstrukturen bremsen das Wachstum regionaler Flexibilitätslösungen nach wie vor, so dass diese größtenteils in der Pilotphase stecken bleiben, anstatt zu vollständig integrierten Komponenten des Energiesystems zu werden.

Politische Entscheidungsträger am Scheideweg: Wird Europa die Flexibilität als Chance ergreifen?

Europäische Institutionen räumen den Themen Energiesicherheit, Bezahlbarkeit und Wettbewerbsfähigkeit zunehmend Priorität ein und schaffen damit eine Dynamik für politische Reformen, die die verstärkte Nutzung von DSF unterstützen. Die EU-Strommarktreform ist eine wichtige Initiative mit dem Ziel, den Zugang zu Flexibilitätsmärkten zu erleichtern und die Marktstrukturen zu verbessern, um die Teilnahme an DSF zu fördern. Einige Länder haben bereits damit begonnen, DSF-Strategien in ihre nationalen Energie- und Klimapläne (NECPs) zu integrieren – aber die Fortschritte lassen zu wünschen übrig. Zudem haben viele Länder das volle Potenzial dieses Instruments zur Erreichung ihrer Klimaziele noch nicht erkannt.

Durch DSF können jährlich über 300 Milliarden Euro an Systemkosten und erhebliche Emissionen eingespart werden – das heißt, Länder, die jetzt nicht schnell handeln, riskieren höhere volkswirtschaftliche Kosten und könnten ihre Klimaziele verfehlen.

Trotz dieser Entwicklungen hinkt der regulatorische Wandel der Dynamik der Energiewende noch hinterher und fragmentierte Marktregeln stellen weiterhin eine Herausforderung für die Skalierbarkeit dar.

Hürden überwinden: Wodurch wird die Demand-Side Flexibility ausgebremst?

Die Vorteile von DSF sind weithin bekannt – und doch müssen noch einige Herausforderungen bewältigt werden, um ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Eine der größten Hürden für den Zugang der Marktteilnehmer zu den verschiedenen Märkten ist nach wie vor der Mangel an einheitlichen Marktregeln. Unterschiedliche Regelungen auf nationaler Ebene führen zu einer Fragmentierung, die es der Flexible Demand Management Industry erschwert, sich auf mehreren Märkten zu etablieren.

Auch die Einbindung der Verbraucher ist ein entscheidender Faktor: Viele Verbraucher sind sich der Möglichkeiten der nachfrageseitigen Flexibilität nicht bewusst oder verfügen nicht über die notwendige Technologie (z. B. Smart Meter zur Nutzung impliziter Flexibilität), um sich zu beteiligen. Für Flexibilitätsdienstleister kann der Business Case ebenfalls eine Herausforderung darstellen, da es in den meisten Ländern keine ausreichenden Einnahmemöglichkeiten gibt, die ein Stacking (der gleichzeitige Zugang zu mehreren Märkten, z. B. Systemdienstleistungen und lokale Flexibilitätsmärkte) ermöglichen, um sicherzustellen, dass ihre Flexibilität optimal genutzt wird.

Der Weg in die Zukunft: Wie kann Europa die Demand-Side Flexibility erhöhen?

Um die Einführung von DSF zu beschleunigen und ihren Nutzen zu maximieren, muss die vollständige und ehrgeizige Umsetzung der EU-Regelungen in allen Mitgliedstaaten Priorität haben. In den letzten beiden Legislaturperioden haben die politischen Entscheidungsträger der EU einen umfassenden Rechtsrahmen geschaffen und die Demand-Side Flexibility in sechs EU-Rechtsakten mit rund 70 Bestimmungen verankert. Durch diese Regelungen können Verbraucher – ob Haushalte, Gewerbe oder Industrie – Strom aus erneuerbaren Energien zeitabhängig verbrauchen, speichern und erzeugen und so dynamisch auf Preissignale und Netzanforderungen reagieren. Trotz dieser rechtlichen Grundlage haben viele Mitgliedstaaten diese Bestimmungen noch nicht vollständig umgesetzt – und bremsen damit die Nutzung von DSF und der damit verbundenen Vorteile aus.

Die Herausforderung besteht nicht darin, neue politische Maßnahmen zu konzipieren, sondern die rasche und wirksame Umsetzung der bestehenden EU-Rechtsvorschriften zu gewährleisten. Die Mitgliedstaaten müssen diese Bestimmungen in nationale Rahmenbedingungen umsetzen, die die Teilnahme an DSF auf den Großhandels- und Systemdienstleistungsmärkten erleichtern, einen fairen Zugang zu Flexibilitätsdienstleistern gewährleisten und Anreize für eine aktive Teilnahme der Verbraucher schaffen. Ohne dringende Maßnahmen läuft Europa Gefahr, seine Dekarbonisierungsziele zu verfehlen und Verbraucher und Unternehmen durch ein unflexibles und überlastetes Stromsystem mit höheren Energiekosten zu belasten.

Eine intelligentere und flexiblere Energiezukunft in greifbarer Nähe

DSF wird beim Übergang Europas zu einem nachhaltigeren und elektrifizierten Energiesystem eine zentrale Rolle spielen, um Bezahlbarkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Zuverlässigkeit zu gewährleisten. Trotz der erzielten Fortschritte gibt es noch immer große Hürden, die nur mit konsequenten regulatorischen Reformen, innovativen Marktmechanismen und einer proaktiven Beteiligung der Verbraucher überwunden werden können. Mit einem jährlichen Einsparpotenzial in Milliardenhöhe und einer erheblichen Emissionsreduktion ist die verstärkte Nutzung von DSF nicht nur vorteilhaft, sondern für die Energiezukunft Europas unerlässlich.

Weitere Einblicke in die Situation der 30 europäischen Märkte in Bezug auf die nachfrageseitige Flexibilität bietet der „2024 Market Monitor for DSF“ von smartEn und LCP Delta.

Über die Trendpapiere

Unsere Trendpapiere bieten Ihnen Hintergründe und aktuelle Entwicklungen in ausgewählten Bereichen der neuen Energiewelt. Hier geht es zur Übersicht der Trendpapiere.

Sie verwenden einen veralteten Browser

Die Website kann in diesem Browser nicht angezeigt werden. Bitte öffnen Sie die Website in einem aktuellen Browser wie Edge, Chrome, Firefox oder Safari.