Was auf das Stromnetz zukommt.
Bei der Podiumsdiskussion im Rahmen der Eröffnungspressekonferenz von The smarter E Europe 2024 wurde eines klar: Die Herausforderungen für die Stromnetze durch die Energiewende sind gewaltig. Der Zubau neuer Kapazitäten geht für das altersschwache Netz viel zu schnell.
Wo der Schuh besonders drückt und wie am schnellsten Abhilfe geschaffen werden kann, darüber diskutierten Kristian Ruby, Eurelectric, Walburga Hemetsberger, SolarPower Europe, Patrick Clerens, EASE und Maciej Mazur, AVERE.
Ist 40 die neue 20? Was viele Junggebliebene gern von sich behaupten, gilt für Stromnetze leider nicht, sagte Kristian Ruby, Generalsekretär beim Branchenverband Eurelectric, zum Start von The smarter E Europe 2024. 30 Prozent der Verteilnetze in Europa sind über 40 Jahre alt und damit nicht mehr gewappnet, um den Herausforderungen der Zeit standzuhalten. Gleichzeitig kommt der Bau neuer Netze viel zu langsam voran. Immer häufiger werden Stromnetze zur Engstelle der Energiewende, bestätigt auch Rana Adib: „2023 kamen 1.500 GW an Projekten in fortgeschrittenen Stadien aufgrund von Genehmigungs- und Anschlussproblemen ins Stocken“. Die geschäftsführende Direktorin von REN21 präsentierte während der Eröffnungspressekonferenz aktuelle Zahlen aus dem dritten Teil des Renewables 2024 Global Status Report (GSR 2024) mit dem Titel „Energy Supply“, der auf The smarter E Europe offiziell gelauncht wurde.
Investitionen verdoppeln
Zwar wurden im vergangenen Jahr weltweit 300 Mrd. US-Dollar in die Netze investiert, die Höhe der Investitionen stagniert aber. Nötig wären nach Daten von IRENA 4.800 Mrd. US-Dollar bis zum Jahr 2030, also mehr als doppelt so viel. Das gilt auch für die europäischen Verteilnetze. Statt bisher durchschnittlich 33 Mrd. Euro, müssten 67 Mrd. Euro pro Jahr investiert werden, um die Netze auszubauen, zu modernisieren und zu digitalisieren, betonte Ruby. Das klinge zwar nach viel Geld, räumte er auf der Podiumsdiskussion im Rahmen der Pressekonferenz ein, doch mit Blick auf das Jahr 2030 müsse man in der EU mit einem Zubau von etwa 600 GW an erneuerbaren Energien, 50 Millionen Elektroautos auf den Straßen und 50 Millionen Wärmepumpen ausgehen. „Wir sprechen hier von schwindelerregenden Zahlen“.
Dazu kommt aktuell ein weiterer Faktor, der ein dringendes Handeln nötig macht. „Ein Trend der Energiewende, der uns mit am meisten Sorge bereitet, ist, dass wir zwar einen schwindelerregenden Zuwachs an Kapazitäten sehen, aber gleichzeitig einen Rückgang der Stromnachfrage“, warnte Ruby. Dieser hänge mit dem milden Wetter und der Deindustrialisierung Europas zusammen. „Auch wenn die politischen Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren noch so wichtig und ehrgeizig sind, wenn die Marktrealitäten anders aussehen und einen tatsächlichen Nachfragerückgang bedeuten, können die Investitionen in neue Erzeugungskapazitäten nicht fortgesetzt werden.“
Finanzierung neuer Netze sichern
Dabei betonte er auch die wichtige Rolle der Regulierungsbehörden. Aus Gesprächen mit Verbandsmitgliedern und Regulierern habe man den Eindruck gewonnen, dass es bei den Behörden am Verständnis für die Dringlichkeit dessen mangelt, was auf der Regulierungsseite geschehen muss. Außerdem müsse man beim Netzausbau anders denken als in der alten Energiewelt mit ihrem statischen System. „Wir wollen 20 Jahre vorausschauen. Wir wollen für die elektrische Zukunft bauen“, sagte Ruby. Konkret bedeute das, für heute Bedürfnisse auch überdimensioniert, vorausschauend zu bauen. Es sei besser und wirtschaftlicher, einmal die Straße aufzureißen und ein sehr dickes Kabel zu verlegen, als alle paar Jahre von vorne anzufangen. Das müssten die Regulierungsbehörden aber auch vergüten. Sonst werde man nicht die nötigen Fortschritte erzielen. “Wir können uns nicht nur auf Effizienzsteigerungen beschränken. Wir müssen neues Kupfer in die Erde bringen, sonst wird diese elektrische Zukunft nicht gelingen.“
Auch Walburga Hemetsberger, CEO von SolarPower Europe, sieht die Dringlichkeit des Netzausbaus. Sie verglich die Energiewende mit einem Hochgeschwindigkeitszug, dem jedoch die Schienen fehlen, um zu fahren. „Wir dürfen aber nicht nur auf die Kabel schauen“, mahnte sie, „auch die Stärkung der Digitalisierung ist ein sehr wichtiger Teil davon.“ Man müsse schauen, wie man mehr Flexibilität für das Stromnetz bereitstellen könne. Der Netzausbau sei nötig, brauche aber Zeit, während man Flexibilitätslösungen zur Hand habe und sehr schnell umsetzen könne.
Sind Speicher das fehlende Puzzlestück?
An dieser Stelle brachte Patrick Clerens die Energiespeicherung ins Spiel. „Die Energiespeicherung ist das entscheidende Puzzlestück“, betonte der General Secretary beim europäischen Speicherverband EASE, „und der schnellste Weg, um die Netzkapazität zu erhöhen.“ Energiespeicher könnten nicht nur Systemdienstleistungen, wie Momentanreserve bereitstellen, sondern auch überschüssige Energie speichern, bis sie gebraucht werde und damit die nötige Flexibilität bereitstellen. Der Flexibilitätsbedarf werde von vielen Netzbetreibern, Mitgliedsstaaten und anderen unterschätzt. In diesem Zusammenhang wies Clerens darauf hin, dass nach Berechnungen des Joint Research Centre der Europäischen Kommission im Jahr 2040 jährlich 310 TWh Strom aus erneuerbaren Energien abgeregelt werden müssten, wenn nicht mehr dagegen unternommen werde. Das sei die Strommenge, die die kleineren 14 EU-Staaten jährlich benötigten.
Dass auch Elektrofahrzeuge bedeutende Stromspeicher sind, daran erinnerte Maciej Mazur, Präsident des europäischen Verbands für Elektromobilität, AVERE. In den 2030 Jahren werde man voraussichtlich Millionen batteriebetriebene Elektrofahrzeuge auch als Energiespeicher einsetzen.